03. September 2019

Lolita Ritmanis im Interview

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Die Amerikanerin mit lettischen Wurzeln lebt und arbeitet in Californien, wo sie erfolgreich für Serien wie Batman die Musik komponiert. Die GEMA hat sie zu ihrem Schaffen in der Film- und Serien-Branche gefragt:

Wie wird man Komponistin für Serienmusik?
Der Weg zur Komposition einer Serienmusik ist für jeden anders. Eine Gemeinsamkeit, so war es bei mir, scheint zu sein, zuerst für einen etablierten Komponisten zu arbeiten, sein Handwerk zu erlernen und gleichzeitig wertvolle Einblicke von einem erfahrenen Mentor zu erhalten. Man hofft, dass dies letztendlich dazu führt, dass man selbstständig komponiert. Ich wurde von der verstorbenen Shirley Walker betreut, die mir meine erste Erwähnung in einem Abspann für Kompositionen in „Batman: The Animated Series“ verschaffte. Ich hatte für sie eine Reihe von Projekten inszeniert und ein paar Musikvorschläge geschrieben. Schließlich wurde ich mit einer ganzen Solo-Episode betraut und wurde Teil ihres Teams. Das war mein Weg. Um ein guter Komponist zu werden, sei es für eine Serie, einen Film, ein Videospiel oder ein anderes Medium, muss man an der Kunst der Zusammenarbeit arbeiten, um dabei nicht nur kompetent, sondern in allen Punkten ausgezeichnet zu werden: Komponieren, Orchestrieren, Programmieren, etc. In dieser Zeit muss man wirklich qualifiziert sein und die Werkzeuge (Ausrüstung, Sounds, etc.) beherrschen, um großartig klingende Musik im eigenen Umfeld zu erzeugen. Die entscheidende Voraussetzung für die Arbeit als Komponist ist die Entwicklung und Pflege von Beziehungen zu den Urhebern von Inhalten. Man kann der brillanteste Komponist der Welt sein, aber wenn man sich in sein Studio zurückzieht und keine Filmemacher, Fernsehproduzenten usw. trifft, wie sollen diese dann jemals von der eigenen Brillanz erfahren? Die Film- und Serienbranche ist ein kollaboratives Geschäft und eine Industrie, nicht nur ein kreativer Job. Es ist ein Business.

Was ist der Unterschied beim Komponieren für Serien und für einen Film?
Grundlegend ist es für mich als Komponistin, Teil des Kreativteams zu sein und eng mit dem Visionär hinter der Serie oder dem Film zusammenzuarbeiten. Die Zusammenarbeit zwischen einem Komponisten und einem Regisseur (Film) oder einem Komponisten und einem Produzenten (Fernsehen) ist entscheidend. Egal an welchem Projekt ich arbeite – Serie oder Film. Die Grenze zwischen Fernsehen und Film verschwimmt immer mehr, da sich die Sehgewohnheiten weiterentwickeln und sich die Formate ändern. Der Hauptunterschied besteht darin, dass eine Serie im Allgemeinen einen längeren Story-Bogen hat, den sie im Laufe jeder Staffel und darüber hinaus erforschen muss, während sie gleichzeitig den kürzeren Story-Bogen innerhalb jeder einzelnen halben Stunde oder Stunde einer Episode realisiert. Die Arbeit an einer Serie erfordert auch andere Fähigkeiten in Bezug auf Zeitmanagement und Gesamtorganisation. Manchmal komponiere ich auf zwei oder mehr Episoden einer Serie gleichzeitig und manchmal nicht in sequentieller Reihenfolge. Daher ist es wichtig, die thematische Entwicklung, die Einführung von Themen und die Art und Weise, wie sie sich im Laufe einer ganzen Staffel entwickeln können oder nicht, im Auge zu behalten.

Was war Ihr bisheriges Lieblingsprojekt?
Ich kann kein Lieblingsprojekt benennen. Daher ist meine Antwort auf diese Frage, dass meine momentanen Lieblingsprojekte die sind, an denen ich gerade arbeite!

Bevorstehende Höhepunkte: Am 8. November 2019 werde ich nach Riga in Lettland reisen und an der Premiere des Films „Blizzard of Souls“ teilzunehmen.  Die Filmmusik enthält ca. 80 Minuten meiner Originalmusik, aufgenommen mit einem 60-köpfigen Orchester (mit Mitgliedern des lettischen Nationalorchesters) und einem 48-köpfigen Chor (der berühmte Staatschor aus Lettland). „Blizzard of Souls“ ist der am gespanntesten erwartete Film in Lettland seit dem Ende des Ersten Weltkrieges. Er wurde zu Ehren von mehr als zehn europäischen Ländern gedreht und zum Gedenken an die 100 Jahre seit dem Ende des Ersten Weltkrieges. Er hatte das größte Budget mit Regierungsunterstützung in der Geschichte des baltischen Kinos.

Ganz unabhängig davon bin ich auch total begeistert, dass es eine vierte Staffel der Warner Brothers Serie „Young Justice“ geben wird. Ich komponiere für diese Serie zusammen mit meinen Partnern Michael McCuistion und Kristopher Carter. Wir sind total happy, dass sie weiterhin eine der meistgestreamten Serien laut Business Insider ist.

Für welche Serie würden Sie gerne die Musik komponieren?
Ich würde gerne die Filmmusik zu einer Dramaserie mit mehreren Episoden und Staffeln komponieren, eine Serie, die sämtliche Facetten des Menschseins erkundet.

Sie sind Gründerin der Alliance for Women Film Composers. Gibt es Ihrer Meinung nach Hürden, die Frauen davon abhalten, erfolgreiche Filmkomponistinnen zu werden?
Ich bin eine der Gründerinnen des Alliance for Women Film Composers und war deren Vorsitzende von 2016 bis 2018. Es gibt viele brillante Filmkomponistinnen. Die größten Hürden, die traditionell zwischen Komponistinnen und der Filmmusik zu Kinohits standen, war der fehlende Zugang zu diesen Projekten. Die Zeiten ändern sich und immer mehr Studiomanager, Regisseure, Produzenten und CEOs finden heraus, welch unglaubliches Begabungspotenzial hier unangetastet geblieben ist. Die Forderungen nach einer größeren Stimmenvielfalt innerhalb unserer Filmgemeinschaft werden immer stärker. Das ist für unsere Industrie vom Standpunkt der Kreativität aus echt toll. Geschlechtergleichheit und Gleichberechtigung sind wichtige Gründe, mehr Möglichkeiten für Frauen anzustreben. Aber die Belohnung für den Filmemacher oder Showproduzenten ist letztendlich das Anzapfen von unverbrauchtem Begabungspotenzial, musikalischen Stimmen mit einzigartigen Perspektiven.

Was würden Sie jungen Frauen raten, die eine ähnliche Karriere wie Ihre einschlagen möchten?
Ich habe nicht viele Ratschläge, die geschlechterspezifisch anwendbar sind. Aber ich werde in Abwandlung Ihrer Frage sowohl Frauen als auch Männern einen Rat geben:

Für Komponistinnen: Ihr müsst verstehen, dass wir die Geschlechterparität noch nicht erreicht haben. Ihr werdet in der Minderheit sein, und daher lege ich Euch ans Herz, dass ihr noch großartiger, kompetenter und professioneller sein müsst, als ihr denkt. Werdet ein wertvolles Mitglied unserer Branche, indem ihr weit über die Anforderungen hinaus Musik liefert, die „jedermanns“ vorgefasste Erwartungen übertrifft, was eine Frau komponieren kann oder nicht. Lasst Vorurteile nicht zu Hürden werden. Nehmt sie als Chance wahr, die vorgefassten Erwartungen durch eure Arbeit verpuffen zu lassen.

Für Komponisten: In Situationen, in denen ihr nur von weißen Komponisten, Musikern usw. umgeben seid: Erhebt eure Stimme dagegen, wenn ihr die Gelegenheit habt. Bittet um Einbeziehung von Frauen und People of Color. In Situationen, in denen ihr mehr Einfluss habt, als eure Auftragnehmer, arbeitet mit professionellem Takt und Anstand. Es sollte eigentlich selbstverständlich sein, dass man die Grenzen einhält, wenn man eine Machtposition ausübt, aber leider passiert immer noch das Gegenteil. So könnt ihr helfen, das Arbeitsumfeld durch euer Benehmen zu verbessern.

Welche Serien sehen Sie sich am liebsten an?
Ich finde es toll, dass so viele verschiedene Inhalte heutzutage zugänglich sind! Ich sehe mir sämtliche Genres und Stilrichtungen an. Welche Serien genau? Hier sind einige meiner Favoriten: Breaking Bad, Handmaid’s Tale, Homeland, The Marvelous Mrs. Maisel, Veep, The Crown… die Liste ist endlos!


Interview: Christin Wenke-Ahlendorf

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