14. Februar 2024

Dr. Lisz Hirn: Die Schlüsselrolle der Kultur im KI-Zeitalter

Lisz Hirn hält Vortrag
Foto: Sebastian Semmer

Die Philosophin Lisz Hirn hielt auf dem Parlamentarischen Abend der GEMA Ende Januar einen Vortrag zu künstlerischen Tätigkeiten im Zeitalter von KI. Drei Passagen aus ihrer Rede stellen wir hier vor.
 

1. Big Techs im Konflikt mit demokratischen Gesellschaften

Die Vorstellung, dass Technik für alle Menschen verwendbar und zugänglich sein soll, erweckt zurecht die Hoffnung, den Anschein, sie würde dem Prinzip der Gleichheit aller dienen, allen nach einiger Zeit und einigem Wohlstand zu einer unerträglichen Leichtigkeit des Seins verhelfen. Das ist leider nicht nur ein beliebter Trugschluss, sondern auch ein Missverständnis. Es gibt einen Grund, warum die Big Techs ständig im Konflikt mit demokratischen Gesellschaften stehen. Diese mächtigen Konzerne sind ihrer Struktur nach autoritär hierarchisch konstruiert, nicht demokratisch. Sie haben ein starkes Macht und Profitstreben, eine der Winner-takes-it-all-Mentalität, und gerade ihre Größe ist es, die Demokratien untergraben könnte. Zumindest potenziell. Aber sie haben auch andere Potenziale, die uns zu Recht und zu Unrecht betören und einen großen Reiz auf uns ausüben. Beispielsweise das utopische Potenzial, die Gesellschaft zu verbessern, unangenehme Arbeiten zu erleichtern. Verständlich, dass gerade die neuen Technologien noch viel einladender aussehen. Sie verheißen nämlich, dass wir die Unkontrollierbarkeit aller fleischlichen Ereignisse, alles was uns betrifft – unsere Körperlichkeit, unsere Verletzlichkeit – in Zahlenketten bauen können, vorhersehbar machen könen, sprich vermessbar, berechenbar und dadurch auch beherrschbar. Und jetzt stellt sich eine neue Frage, die wir möglicherweise seit einigen Jahrhunderten nicht mehr so offensichtlich stellen mussten. Wie wollen wir eigentlich den Menschen denken? Als Homo digitalis? Oder vielleicht, wie es der Historiker und Philosoph Yuval Noah Harari vorschlägt, als hackable animal, also lediglich als Lebewesen, das gehackt werden kann, weil alle seine Daten, seine gesamte Existenz online digital verfügbar ist? 

2. Leben in einer Informationsblase

Selbst wenn wir bewusst entscheiden würden, wo wir Algorithmen einsetzen, wo nicht, wo wir auf künstliche Intelligenz zugreifen, wo nicht, heißt das nicht, dass wir die Auswirkungen auf uns damit völlig kontrollieren könnten. Ganz im Gegenteil. Die Algorithmen beispielsweise liefern uns eine Auswahl nach unseren bisherigen Eingaben, unseren Geschmack, egal ob auf Amazon oder auf Spotify. Geliefert wird, was unserem Muster entspricht, was uns wahrscheinlich gefällt und vor allem, was gefällig ist. Und da beginnt das Problem. Wir gewöhnen uns daran, ja, Sie und ich, uns nur mehr mit dem auseinanderzusetzen, nur mehr mit dem zu beschäftigen, das uns gefällt.

3. Kunst und Kultur als Boden unserer inneren Überlebensfähigkeit

Wir erkennen bereits deutlich, dass die digitale Revolution zwar vieles, aber bei weitem nicht alles analoge in digitale Signale umwandeln kann. Dass sie vieles effizienter, aber nicht zwingend besser oder gerechter machen wird. Schon gar nicht uns selbst. KI stellt unsere Gesellschaften nicht nur vor die Herausforderung, über unser Menschsein die Beziehungen zu unseren Maschinen zu überdenken, sondern auch unsere Demokratien vor die Herausforderung, neue Räume zu erfinden, in denen wir uns wieder zumuten können. Einander zumuten können. Kurz: materielle und immaterielle Räume zu schaffen, wo Gerechtes und Ungerechtes zur Sprache kommen kann. An dieser Stelle kommt den Kultur- und Kunstschaffenden eine Schlüsselfunktion für die Entwicklung einer Gesellschaft zu, und hier ist auch der Punkt, wo sie zur Wehrhaftigkeit einer Demokratie beitragen kann. Kultur ist in diesem Verständnis und in diesem Sinn kein Luxus, den wir uns in guten Zeiten leisten können oder auch nach Belieben streichen können. Sondern der geistige Boden, der unsere eigentliche innere Überlebensfähigkeit sichert, wie es Richard von Weizsäcker so treffend formulierte. 

Über die Autorin

Dr. Lisz Hirn, geboren 1984, studierte Philosophie und Gesang in Graz, Paris, Wien und Kathmandu. Sie arbeitet als Publizistin und Philosophin in der Jugend- und Erwachsenenbildung, u. a. am Universitätslehrgang »Philosophische Praxis« der Universität Wien. Artikel in diversen österreichischen Medien. Bei Zsolnay erschien 2023 „Der überschätzte Mensch – Anthropologie der Verletzlichkeit“. Weitere Publikationen: „Wer braucht Superhelden“ (2020) und „Macht Politik böse?“ (2022).