Ein Gastbeitrag von Elisabeth Winkelmeier-Becker,
MdB, Rechtspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
Man stelle sich vor, ein Komponist, Autor oder Regisseur trifft mit seinen Werken exakt den Geschmack des Publikums: Die Verleger reißen ihm die Buchtitel nur so aus den Händen, für seine Filme oder Orchesterstücke wird er vom Publikum gefeiert. Er sollte ohne Weiteres von seiner Kunst leben können. Sollte er. Denn die Realität sieht anders aus: Da explodieren die Zahlen der Uploads im Netz, der Titel verbreitet sich viral und wird auch in der Community zum Hit. Auch die Wertschöpfung bleibt nicht aus: Werbe-Trailer vor Beginn des Films oder Audio-Stücks sichern sie auf effiziente Weise. Begünstigter ist jedoch nicht der Künstler. Es ist der Betreiber der Online-Plattform, auf der das Werk öffentlich zugänglich ist. Unser eben noch gefeierter Künstler? Er geht häufig leer aus. Denn aktuell können selbst die größten Plattformbetreiber ihre Verantwortung für die Klärung von Urheberrechten einfach abstreiten – mit dem Argument, die Inhalte würden von den Nutzern der Plattform hochgeladen. In der Konsequenz gibt es weder fair verhandelte Lizenzvereinbarungen, noch haftet die Plattform für eventuelle Urheberrechtsverletzungen. Die bestehende europarechtliche Rechtslage verpflichtet den Plattformbetreiber nach dem Grundsatz „notice and take down“ nur dazu, ein Werk herunterzunehmen, nachdem der urheberrechtswidrige Upload bemerkt wurde – ein starker Anreiz, dieses zunächst möglichst nicht zu bemerken, gleichwohl aber daran zu verdienen.
Wir haben es hier mit erheblichen Marktverzerrungen durch Privilegierungen von Online-Akteuren zu tun. Der europäische Gesetzgeber hat es sich nun zur Aufgabe gemacht, dieses Value Gap zu schließen und dafür einen angemessenen Urheberrechtsschutz zu entwickeln – auch und gerade mit Blick auf die digitalen Möglichkeiten unserer Zeit. Mit Art. 13 der sog. EU Copyright Directive soll in erster Linie der Abschluss von Lizenzvereinbarungen zwischen Plattformen und Rechteinhabern gefördert werden. Bei fehlender Lizenzierung ist hingegen vorgesehen, dass die Betreiber der entsprechenden Online-Plattformen geeignete Maßnahmen zu treffen haben, um die Zugänglichkeit der Werke zu unterbinden.
Trotz der offensichtlichen Notwendigkeiten hat die Brüsseler Urheberrechtsnovelle lautstarke und medienwirksame Kritik der Netzgemeinde ausgelöst. Politische Lager, die sonst verlässlich gegen die „großen Konzerne“ argumentieren, engagierten sich nun für die großen Plattformen und ihr Geschäftsmodell, das vielfach auf Kosten der Kreativen geht. In der Folge wurde der Bericht des Rechtsausschusses des Europäischen Parlaments (JURI) in der Plenarsitzung vom 5. Juli 2018 vorerst abgelehnt. Basis für diese Entscheidung war, dass es einigen Protagonisten in der öffentlichen Diskussion gelungen ist, eine Emotionalität zu erzeugen, in der Fehlinformationen auf fruchtbaren Boden fallen konnten. Mit der Behauptung, es würden nun flächendeckend für alle Plattformen „Upload-Filter“ erforderlich, mit denen Algorithmen missliebige Uploads blocken würden, wurden alle Register gezogen.
Besonders beliebt: der Vorwurf der Zensur, der immer gut verfängt und sogleich eine Kaskade von Assoziationen des übergriffigen Staates auslöst. Dass man da mutig dagegen ist – eine Selbstverständlichkeit! Dabei geht es bei den Vorschlägen offensichtlich nicht um Zensur, nicht um Einschränkungen der Meinungs- und Informationsfreiheit, nicht um das Blocken bestimmter Inhalte. Denn Kriterium ist nicht, ob das Werk irgendeiner mächtigen Kontrollinstanz genehm ist. Entscheidend ist allein die Frage, ob der Urheber mit der Nutzung seines Geistigen Eigentums einverstanden ist – was er nach seinem Belieben von der Vereinbarung und Zahlung einer Lizenz abhängig machen kann. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie dies in der Praxis umgesetzt werden kann. Da muss nicht jedes Detail gesetzlich geregelt werden. Denkbar wäre etwa, dass es in der Hand des Urhebers bleibt, ob er sein Werk mit einem „Fingerabdruck“ markiert, so dass es von der Erkennungssoftware als lizenzpflichtig erkannt wird, oder nicht. Wo der Urheber gerade an einer ungehinderten und weiten Verbreitung seines Werkes ohne Vergütung interessiert ist, etwa weil es ihm um die Botschaft seines Liedes geht, wäre es daher seine freie Entscheidung, auf eine Aktivierung der Erkennungssoftware für sein Werk zu verzichten; auch hier also keine Einschränkung der freien Kommunikation! Denn Ziel der Richtlinie war und ist, die Lizenzierung geschützter Werke zum Regelfall zu machen, nicht das Blocken von Werken. Unerwähnt blieb auch, dass Filteralgorithmen ohne jeden Zensur-Vorwurf durch die Plattformen selbst eingesetzt werden. Trotzdem gelang es in der öffentlichen Diskussion erneut, die Forderung nach angemessener Vergütung mit der Drohkulisse von „Zensur“ zu vertauschen – und so letztlich das Geschäft der großen Plattformen zulasten der Kreativen zu schützen.
Die Irreführung in der Diskussion ging so weit, dass behauptet wurde, laut JURI-Beschlussvorlage sollten die Regelungen auch für Wissensplattformen wie Wikipedia gelten. Diese wurden ausdrücklich nicht erfasst. Gleiches gilt für Volkshochschulen und andere Bildungseinrichtungen sowie für alle nicht-kommerziellen Anbieter. Hier gab es falsche Darstellungen auch von Menschen, die es besser wissen müssten. Es scheint so, dass die Netzgemeinde als scheinbare Grassroot-Bewegung vorgeschickt wurde, um die Interessen der großen Player gegenüber den Kreativen und den Entscheidern in der Politik durchzusetzen.
Worum geht es bei den von der Richtlinie geforderten „Maßnahmen“ wirklich, welche Aufgabe bleibt nun weiterhin zu lösen? Ziel ist es, den Plattformen ihr offensichtliches, auf die bisherige EU-Rechtslage zugeschnittenes Geschäftsmodell nicht mehr durchgehen zu lassen: rechtswidrige Uploads durch Werbung möglichst lange zu vermarkten, ohne es im Sinne von „notice and take down“ zu bemerken und schnell entweder zu löschen oder zu lizenzieren. Das ist weiterhin die Aufgabe, die eine neue europäische Richtlinie erfüllen muss.
Dabei sind Denkansätze gefragt, die dabei helfen können, die verrannte und polarisierte Diskussion zu überwinden, vor allem im Hinblick auf die umstrittenen technischen „Maßnahmen“. So wäre es durchaus denkbar, dass als Umsetzung einer solchen Maßnahme Software eingesetzt wird, um geschützte und vom Rechteinhaber gekennzeichnete Werke als solche zu erkennen, dabei jedoch nicht auf ein Blocken des Uploads zu zielen, sondern den Upload ungehindert zuzulassen und stattdessen für eine umgehende Benachrichtigung („notice“) beim Plattformbetreiber zu sorgen: Anstelle einer technischen Blockade könnte der Betreiber so mit einem automatischen Hinweis – gewissermaßen mit einem „Blitzer“ – umgehend aufmerksam gemacht werden, wenn der Upload eines konkreten Werkes auf seiner Plattform urheberrechtlich geschützte Inhalte umfassen würde. Im Gegensatz zur gegenwärtigen Praxis kann er sich durch den automatischen Hinweis zur Lizenzpflicht eines Uploads dann nicht mehr darauf berufen, von den rechtlichen Umständen keine Kenntnis gehabt zu haben. So könnten in erster Linie Zahl und Ausmaß von Urheberrechtsverletzungen gemindert und in zweiter Linie die Verantwortlichkeit der Plattformen gleichsam als Kehrseite ihres digitalen Geschäftsmodells gestärkt werden. Der Sorge vieler User und der verbreiteten Ablehnung von Algorithmen, die selbständig über Upload oder Blocken entscheiden, wäre ebenfalls Rechnung getragen, weil es insoweit eben keinen technisch gesteuerten Automatismus gäbe. Es wäre vielmehr eine selbständige Entscheidung des Plattformbetreibers erforderlich. Für die User würde sich ansonsten nichts ändern.
Wenn sich das EU-Parlament am 12. September 2018 erneut mit der Modernisierung des Urheberrechts befasst, dann geht es um eine faire Vergütung der Kreativen in einer digitalen Wirklichkeit. Nur damit schaffen wir auch unter digitalen Vorzeichen jene Bedingungen, die wir für funktionierende Märkte so dringend brauchen. Es geht dann zugleich um die Frage, ob wir auch künftig an unseren rechtlichen und ökonomischen Wertentscheidungen im Bereich des Urheberrechts festhalten. Und nicht zuletzt geht es um die klare Botschaft an die dominierenden Plattformen wie Google und Facebook, aber auch Tencent oder Alibaba, dass sie geschützte Rechte nicht übergehen und wirtschaftlich allein für sich ausnutzen können. Dies ist ein wichtiger Aspekt der anstehenden Diskussionen, wie wir Wertentscheidungen und Regeln, die wir als Gesellschaft demokratisch getroffen haben, auch in der digitalen Welt Geltung verschaffen können.